Buchempfehlung: Missbrauch Der Weg raus von Anthakarana

Der erste Absatz dieses Buches lautet: „In diesem Buch geht es darum, den Opfern extremer Gewalt Gehör zu verschaffen. Nicht der Art, dass ihre Geschichten hier veröffentlicht werden, sondern der Art, dass ihnen und allen anderen Interessierten, also vor allem Verwandten und Freunden aufgezeigt wird, welche bis ins kleinste Detail durchdachte Handlungen ein Täter durchführt und wie sich diese auf die Opfer auswirken. Nicht, was schon andernorts veröffentlicht wurde.“

In der Tat werden in diesem Buch ganz klare Aussagen getroffen, die vielerorts aufgeweicht wurden. Mittlerweile gibt es u.a. die Auffassung, dass nicht jede Art von Gewalt traumatisierend sei, sondern es auch Menschen gäbe, die Missbrauch erfahren und nicht traumatisiert wären. Wer auch immer einen Vorteil von dieser These hat, in diesem Buch wird sie eindeutig und nachvollziehbar widerlegt.

Jedes Kapitel hat mich tief beeindruckt und ich könnte alle hervorheben. Da dies den Rahmen sprengen würde, möchte ich besonders auf folgende Themen eingehen.

Anthakarana beschreibt eindrücklich den Unterschied zwischen der Vorgehensweise und der Motivation von Tätern und Täterinnen sowie den Auswirkungen dieser Taten bei männlichen und weiblichen Opfern. Ich finde das immens wichtig, weil die Auswirkungen im weiteren Leben der Opfer so unterschiedlich sind (auch wenn es natürlich Gemeinsamkeiten gibt). Zudem gibt es derzeit viel Verwirrung um die Begriffe „Männer“ und „Frauen“, die Geschlechtszugehörigkeit sowie die Frage „Was ist eigentlich das Geschlecht und wie viele gibt es biologisch und sozial?“. Wenn die Definitionen von Frau und Mann immer weiter aufgeweicht werden, wird es m.E. schwerer die Missbrauchsfolgen unter denen männliche und weibliche Betroffene leiden, zu erkennen und Betroffenen bei der Überwindung der Folgen zu helfen. Von sexuellem Missbrauch und Prügel betroffene Opfer haben per se Schwierigkeiten mit ihrem Körper, da ihnen durch den Täter über ihren Körper viel Leid angetan wurde. Dissoziation ist in diesem Zusammenhang sowohl eine der Überlebensstrategien der Opfer sowie auch ein Werkzeug von Tätern, das bewusst eingesetzt wird, um Opfer von ihrem Körper und damit von ihren Bedürfnissen und Wünschen zu trennen. In einer Therapie ist es demnach wichtig, dass Opfer wieder Vertrauen in sich selbst und ihr Körpergefühl finden. Hierfür muss es eine klare Definition geben, was einen männlichen Körper und was einen weiblichen Körper ausmacht. Sämtliche Verwischung dieser Begriffe ist Tätern sehr dienlich. Das darf bei der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion nicht außer Acht gelassen werden.

Anthakarana erklärt in ihrem Buch den Begriff „Täterbeschwichtigung“. Ein Mechanismus, der gesellschaftlich eher unbekannt ist, aber bei allen Opfern zu finden ist. Dieses Buch müsste zur Pflichtlektüre für Menschen und in Institutionen werden, die mit Opfern arbeiten. Dann würden viele Zusammenhänge anders betrachtet und ggfls. auch endlich gerichtliche Verfahren anders beurteilt werden, weil das Verhalten von Opfern und die Vorgehensweise von Tätern endlich anders erkannt werden könnte. Zum Thema Täterbeschwichtigung habe ich in diesem Blogeintrag etwas geschrieben.

Ein weiteres intensives Kapitel ist das Kapitel über „Missbrauch in Sekten“. Anthakarana erläutert hier wesentliche Aspekte zum Thema ritualisierte Gewalt. Und auch hier gilt: Die Aufarbeitung ist möglich, sofern Therapeuten sich dem Wissen über dieses Thema öffnen und bereit sind, voll und ganz ihre Klienten durch die Aufarbeitung dieser schrecklichen Erfahrungen zu begleiten. Es gibt Dinge, die sind so unglaublich – und dennoch geschehen sie. Die Grenzen meiner Vorstellung, sind die Grenzen meines Bewusstseins. Ich möchte an dieser Stelle kurz jedem Therapeuten sagen: Glaube deinem Klienten! Der Grausamkeit von Tätern sind nur deren eigenen Grenzen gesetzt und wenn du als Therapeut dir etwas nicht vorstellen kannst, dann liegt das an dir – aber rede deinem Klienten nicht ein, dass das, was er erlebt hat, nicht wahr ist, nur weil du dir wünschst, dass so etwas nicht wahr sein darf. Hilf deinem Klienten seine verwirrenden Gewalterfahrungen zu sortieren, damit er sich in seinem Leben wieder zurechtfinden kann.

Unglaublich bereichernd finde ich auch, dass Anthakarana dieses schwierige Thema mit dem Thema Spiritualität verbindet und damit Menschen die Möglichkeit eröffnet, sich ihre eigene Spiritualität, welche Täter versuchen zu zerstören, zurückzuerobern. Dabei darf Spiritualität nicht mit „Religion“ oder mit „religiösen Institutionen“ verwechselt werden. Bedauerlicherweise ist das ein häufiges Missverständnis und damit wird Menschen so viel genommen. In diesem Buch wird erläutert, dass die eigene Spiritualität und der Mensch als spirituelles Wesen ein wichtiger Punkt in der Aufarbeitung von leidvollen Erfahrungen ist. Solltest du als Leser Atheist sein, ist dies kein Widerspruch, im Gegenteil.

Dieses Buch ist kein Buch, was du mal eben so durchliest. Es ist eher ein Arbeitsbuch und ich empfehle dir – gleich ob du das Buch als Betroffener, als Angehöriger von Betroffenen oder als Fachkraft in diesem Bereich liest – dringend zwischen den einzelnen Kapiteln eine Pause zu machen. Im besten Fall hast du die Möglichkeit die Inhalte innerhalb einer Selbsterfahrungsgruppe, bei deinem Therapeuten oder in der Supervision zu besprechen. Aber natürlich ist es auch möglich, das Buch allein zu lesen. Gerne kannst du einen Beratungstermin bei mir vereinbaren, wenn du das Buch liest und über einige Themen, die bei dir angestoßen wurden, sprechen möchtest.

Für mich ist dieses Buch das beste und klarste Buch zum Thema Missbrauch. Anthakarana greift die schwierigsten Themen auf und erklärt sie sehr anschaulich. Für mich ist in diesem Buch sehr deutlich fühlbar, dass Anthakarana jedem Betroffenen an der Seite steht! Und gerade diese Erfahrung fehlt Betroffenen in ihrem Leben, deren Vertrauen so oft ausgenutzt wurde.

Es gibt für jeden Menschen einen Weg raus aus dem Missbrauch. Es ist möglich, dass Betroffene ihre Erfahrungen aufarbeiten und ein erfülltes Leben gestalten. Mit diesem Buch sind diese Aussagen Gewissheit.

Anthakarana war spirituelle Lehrerin und lebte und wirkte in physischer Form vom 6. Dezember 1962 bis zum 14. Juli 2016. Sie lehrte in Berlin, Bonn und der Eifel und bildete Therapeuten in der von ihren begründeten Therapieformen der Körperorientierten Regressionsanalyse, der Chakrabezogenen Körperarbeit, in Meditation und Anthakarana-Yoga aus. Ich selbst habe bei ihr meine Ausbildung in Körperorientierter Regressionsanalyse erfolgreich abgeschlossen.

 Das Buch wurde p.m. im Jahr 2021 als Taschenbuch herausgegeben und umfasst 204 Seiten. Es ist erhältlich über z.B. Amazon.