Kriegsrhetorik - Teil 1

Sprache ist individuell und jeder Schreiber darf seine Worte auswählen, um Texte frei zu gestalten und eine bestimmte Wirkung bei dem Leser zu erzielen.

 

Jedes Wort hat seine Bedeutungen und kann in unterschiedlichen Kontexten eine andere Wirkung entfalten.

 

Wenn in analogen oder digitalen Texten eine kriegerisch geprägte Sprache gewählt wird, kann dies unterschiedliche Erinnerungen wachrufen und schlussendlich auch bestimmte Verhaltensweisen auslösen. Ich bin der Meinung, dass eine kriegerische Sprache gefährlich sein kann und als reines Stilmittel mit Bedacht eingesetzt werden sollte. Wieso das so ist, erkläre ich in meiner Artikelreihe „Kriegsrhetorik“.

 

  • Teil 1 Wer in Deutschland hat eigentlich wirklich Kriegserfahrungen?
  • Teil 2 Werden Kriegserfahrungen vererbt? Erklärungen zur Transgenerationalen Traumatisierung
  • Teil 3 Beispiele für Kriegsvokabular – und was du tun kannst, um dich davon wenig beeinflussen zu lassen

Teil 1 Wer in Deutschland hat eigentlich wirklich Kriegserfahrungen?

Wieso ist Kriegsrhetorik für uns so gefährlich und wer ist davon betroffen?

 

In Deutschland gibt es lange Zeit schon keinen direkten Krieg mehr im eigenen Land - wenn wir Informations- oder Digitalkriege einmal davon ausnehmen. Die deutsche Regierung hat sich zwar aktiv an Auslandseinsätzen beteiligt und Rüstungsfirmen verdienen mit dem Verkauf von Kriegswaffen Geld, aber innerhalb des Landes gab es seit 1945 keinen aktiven Krieg mehr, bei dem u.a. Soldaten gegeneinander kämpften, Städte bombardiert wurden oder Fliegeralarme ausgelöst wurden.

 

Um zu verstehen, wieso dennoch viele Menschen in Deutschland unter den Auswirkungen von Kriegsrhetorik leiden, braucht es ein paar Zahlen:

 

Menschen, die den 2. Weltkrieg miterlebt haben

 

Die Menschen, die den 2. Weltkrieg (1939 – 1945) bewusst miterlebt haben und im Jahr 2020 noch am Leben sind, wurden zwischen ca. 1920 bis 1945 geboren. Sie sind im Jahr 2020 zwischen 75 bis 100 Jahren alt.

 

Menschen, die den 2. Weltkrieg nicht miterlebt haben

 

Der Bevölkerungsanteil der Menschen in Deutschland, die jünger als 75 Jahre alt sind, liegt zwischen 71 – 93 % (Angaben aus 2018 vom Statistischen Bundesamt). Diese Menschen sind alle nach 1945 geboren worden.

 

Das bedeutet, dass die Mehrzahl der Menschen in Deutschland den Krieg nicht bewusst miterlebt hat und in diesem Zusammenhang wird auch manchmal von „Der Gnade der späten Geburt“ gesprochen, auch wenn Helmut Kohl (Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland von 1982 – 1998) diese Aussage in einen anderen Kontext gestellt hat.

 

... aber dafür haben diese Menschen den Kalten Krieg miterlebt

 

Im Zeitraum nach dem 2. Weltkrieg bis zum Fall der deutschen Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands (1989) gab es den sogenannten „Kalten Krieg“.

 

Diese Art von Krieg bedeutete eine durchgehende Androhung eines Krieges.

 

Deutschland bildete das Zentrum zweier Fronten: Mit dem Bau der Mauer in Deutschland wurde die Bevölkerung in zwei Teile getrennt, deren Regierungen sich feindlich gegenüberstanden. In Folge des Konflikts zwischen den Westmächten unter Führung der USA und dem sogenannten Ostblock unter Führung der Sowjetunion kam es zum Wett- und Aufrüsten und der Androhung eines Atomkrieges. Zusätzlich dazu wurde durch Stellvertreterkriege in anderen Ländern und dem Abwurf der Atombombe in Hiroshima deutlich, welche furchtbaren Folgen ein (atomarer) Angriff haben konnte.

 

Wenn wir uns diese Situation für einen Augenblick mal vorstellen, dann erahnen wir vielleicht, wieviel Angst die Menschen damals hatten.

 

 

Der Krieg ist schlussendlich nicht ausgebrochen, aber durch die Drohungen der beteiligten Länder wurde der Bevölkerung immer wieder vermittelt, dass es jederzeit zu einem Kriegsausbruch kommen kann. Diese Androhung kann den Menschen, die den 2. Weltkrieg überlebt hatten, natürlich viel Angst gemacht haben, weil sie ja wussten, was Krieg bedeutet und wie das Leben in einem Kriegszustand ist. Die Befürchtung, erneut einen Krieg mitzuerleben, ist nicht zu unterschätzen. Es ist ein Erwartungsdruck irgendwann in einer erneuten Katastrophe zu landen.

 

Rückblickend vergessen viele Menschen, dass der Kalte Krieg eine permanente Kriegsandrohung war und dass die Anspannung greifbar in der Luft lag. Historisch betrachtet wissen wir heute, wie knapp es damals war, dass es nicht zum aktiven Kriegsausbruch gekommen ist.

 

Menschen, die den Kalten Krieg miterlebt haben

 

Die Menschen, welche die Zeit des Kalten Krieges in Deutschland miterlebt haben, wurden zwischen 1945 und 1989 geboren und sind im Jahr 2020 zwischen 31 und 75 Jahren alt.

 

Kriegsrückkehrer und Soldaten

 

Neben Menschen, die durch den 2. Weltkrieg oder den Kalten Krieg geprägt wurden, haben natürlich auch Soldaten und Kriegsrückkehrer Kriegserfahrungen. Laut Bundeswehr sind mit Stand von September 2020 ca. 3.109 Soldaten im Auslandseinsatz.

 

Schutzsuchende und Flüchtlinge

 

Und natürlich auch Menschen, die aus Kriegsgebieten nach Deutschland flüchten mussten, haben Kriegserfahrungen. In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt ca. 1,8 Millionen Schutzsuchende in Deutschland.

 

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Kalten Krieg und Krieg?

 

Ja, natürlich gibt es den. Natürlich macht es einen Unterschied, ob man einen Bombenangriff miterlebt hat, oder ob man in der Angst lebt, bald einem Bombenangriff ausgesetzt zu sein. Es gibt natürlich einen Unterschied an Hunger zu leiden oder die Befürchtung zu haben, bald an Hunger leiden zu müssen. Beide Zustände sind schlimm – die Intensität ist jeweils eine andere.

 

Fazit:

Neben Soldaten und Schutzsuchenden haben in Deutschland alle über 31 Jährigen Kriegserfahrungen, wenn auch unterschiedlich intensiv!

 

Im zweiten Teil erkläre ich was vererbte Traumatisierungen sind und was Kriegserfahrungen bei uns auslösen können.